Tags: Lektor, Lektorin, Geschichte

Autor/in: Caroline Breitfelder

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Hinter dem Vorhang 

 

Lektoren sind die „unsichtbaren Zweiten“ in der Maschinerie der Buchproduktion. Er oder sie steht hinter dem Geschehen, verdeckt vom Vorhang, und arbeitet unermüdlich und unerkannt dafür mit, dass auf der Bühne der Verlagswelt neue, gute Bücher ihre Glanzmomente erleben können. Die Bedeutung eines Lektors oder einer Lektorin wird häufig unterschätzt oder schlichtweg vergessen; dennoch nehmen Lektor*innen auf den Schreibprozess eines Autors, damit auf sein fertiges Buch und die literarische Entwicklung im Allgemeinen entscheidenden Einfluss – und das nicht erst seit gestern. 

Der Homo Lektor

Die Anfänge 

 

Ein gutes Buch will gut recherchiert sein. Eine universelle Wahrheit, die auch Erasmus von Rotterdam, ein berühmter Gelehrter der Renaissance, kannte. Schon er arbeitete mit Druckverlegern in Basel und Venedig zusammen und sie nahmen seine Dienste als eine Art „Probe- und Kontrollleser“, ein Prä-Lektor quasi, in Anspruch. So konnte Erasmus teils seine, teils fremde Texte überarbeiten und perfektionieren. 

So kann man sich die Anfänge des Lektoratswesens vorstellen: Schriftsteller und Gelehrte fungierten als Gutachter von außen, freischaffende und unabhängige Experten, die zeitlich begrenzt und meistens nur für ein Projekt mit Verlegern zusammenarbeiteten. Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert wurde dies üblich. Das Berufsbild eines Lektors war damit keinesfalls genau umrissen, nicht einmal seine Funktion war zu jener Zeit klar gesetzt. Das Schicksal des Lektorenberufs war und ist eng gebunden an die Entwicklungen und Veränderungen innerhalb der Buchbranche; und jene schritten mit der Zeit rasant voran.

 

Eine neue Rolle: Der Lektor zwischen Verlag und Autor

 

Bis zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vereinigten sich in der Rolle des Verlegers die Pflichten eines Herstellers, eines Kaufmanns, Beraters von Autoren, eines Lektors, Werbefachmanns und Pressesprechers. Das war, man ahnt es schon, ein Haufen Arbeit. Dieser Berg an Verantwortung wurde mit der Zeit immer schwerer zu erklimmen. Die Entstehungsbedingungen von Literatur wandelten sich rasend schnell, eine Titelflut überschwemmte den Markt und eine Flut an Manuskripten den Verlag; ein Verleger musste seinen Verlag den ökonomischen Bedingungen anpassen ohne an Qualität zu verlieren, wollte er sein Geschäft in diese neue Phase der Buchbranche hinüberretten. 

Zur Lösung dieses Problems bedurfte es einer neuen Institution im Verlag: Der des Lektors, der den Verleger in den oben genannten Aufgaben entlasten und unterstützen sollte. Samuel Fischer, der Gründer des S. Fischer Verlags in Berlin, war der Erste, der sich einen Lektor anschaffte. Dessen anfängliche Aufgaben waren noch etwas diffus und mussten ausdifferenziert werden, wie immer, wenn etwas ganz neu anfängt. 

Das Hauptaugenmerk lag zunächst auf dem Lesen von Manuskripten sowie auf dem sozialen Gehalt des Berufs, das heißt auf der Autorenpflege und gemeinsamen Textarbeit. Überprüfen können wir das am Beispiel Moritz Heimanns, der 1895 nach einem Studium der Philosophie und Literatur in den S. Fischer Verlag eintrat und dort fast dreißig Jahre lang arbeitete; nebenher war er auch Schriftsteller und galt vielen als kompetenter Kritiker von Literatur. 

Heimann hat das Berufsbild des Lektors entscheidend geprägt: Er galt als Helfer, Förderer, Stütze und Vertrauensperson für sowohl Verlag als auch Schriftsteller und nahm eine Vermittlerposition zwischen beiden ein. Der soziale Aspekt seiner Rolle wurde, schauen wir uns Nachrufe auf seine Person und Darstellungen des Fischer-Verlages an, mit der literarischen Funktion, die er einnahm, als gleichbedeutend gewertet: Also nicht nur seine literarische, sondern auch seine zwischenmenschliche Kompetenz machte ihn für den Verlag wertvoll. 

 

Der Lektor im Laufe der Zeit

Weiterentwicklung im 20. Jahrhundert: Der Beruf gewinnt an Profil

 

Schon früh etablierte sich ein Netzwerk zwischen verschiedenen Lektoren; von diesem zeugen beispielsweise die Briefe des deutschen Dichters und Lektors Christian Morgenstern. Die meisten von ihnen waren Akademiker mit höherem Bildungsabschluss; grundsätzlich aber konnte jeder Lektor werden, der wollte – das gilt auch heute noch, wenn auch die meisten Lektor*innen ein abgeschlossenes Studium, zumeist in den Geisteswissenschaften, vorweisen können.

Zwei weitere Hinweise auf die Arbeit eines Lektors des frühen 20. Jahrhunderts finden wir in Morgensterns Briefen, nämlich erstens, dass nun auch Vermarktungsstrategien begannen, sich in den Berufsalltag des Lektors einzuschleichen; er gab Ratschläge, was Zielpublikum, Stil und zeitgenössische literarische Moden betraf. Zweitens wird deutlich, dass trotz der zunehmend wichtigen Rolle des Lektors noch immer der Verleger das Sagen hatte und die deutlich dominierende Rolle im Verlagsbetrieb einnahm: Er allein bestimmte letztendlich, was gedruckt wurde und was nicht.

In den Goldenen Zwanzigern begann das Bestsellergeschäft zu florieren und zwischen 1920 und 1925 gründeten sich über 600 Verlage neu. Der Konkurrenzdruck stieg massiv an. Gleichzeitig begann die Monopolstellung des Buches als wichtigstes Bildungs- und Unterhaltungsgut zu wanken durch die steigende Bedeutung von Film und Rundfunk: Eine Absatzkrise, die „Bücherkrise“ genannt, begann. Darauf musste reagiert werden. Die Verlage mussten sich auf die Modernisierung der Gesellschaft umstellen und ihre Konzentration auf den Zeitgeist und dessen Verlangen nach ständig neuer Unterhaltung lenken statt auf altbewährte Traditionen. Alles wurde schneller, hektischer, arbeitsintensiver. Der Entlastungsbedarf durch professionelle Lektoren wuchs. Dadurch wurde der Lektor intensiver in den Verlag eingebunden und es entwickelte sich für viele Jahre kein etablierter „freier“ Lektorenberuf.

Das Lektorat wird eine feste Größe

 

Die Anzahl der Lektoratsstellen wuchs in den Nachkriegsjahren beträchtlich an, die Rolle des Lektors wurde eine feste Größe in der Verlagsorganisation und immer mehr Lektoren wählten ihren Beruf nicht als Nebenbeschäftigung oder waren schriftstellerische Quereinsteiger, sondern entschieden sich gezielt für den nun präziser definierten Hauptberuf. 

Auch die Bedeutung des Lektors im Verlag stieg weiter an; er wurde aktiver Gestalter, beriet Autoren, legte Themen fest oder schlug sie vor. Außerdem mussten Lektoren in den vielen neugegründeten Verlagen daran arbeiten, in einer neuen Welt, teils unter den verschiedenen Besatzungsmächten und auch danach, ein Verlagsprofil zu entwickeln und dieses später im Zuge der konsum- und profitorientierten Produktionsweise der Wirtschaftswunderjahre durchzuboxen, neue Autor*innen zu entdecken, zu fördern und an sich zu binden, und dabei Qualität und Quantität für ihre Leser und Leserinnern zu sichern. 

Das hatte auch die Nebenwirkung, dass Lektoren etwas weniger Lektor und etwas mehr Produktmanager wurden; Marktforschung, Marktanalyse, das Bewerben und Verkaufen eines Buches zählten immer mehr zu ihrem Berufsalltag – eine Tatsache, die von vielen auch skeptisch beurteilt wurde, nichtsdestotrotz aber bis heute Bestandteil der Berufsrolle blieb.

 

Die „Lektorenaufstände“

 

Die Verantwortung und Arbeit der Lektoren stiegen also an; dennoch blieben sie meist weitgehend anonym und in der Verlagshierarchie klar dem Verleger untergeordnet und fanden sich, wie bereits oben erwähnt, mittlerweile zusätzlich in der Rolle eines Produktmanagers, was nicht allen von ihnen behagte. 

Diese für viele Lektoren unbefriedigende Situation mündete in den sogenannten „Lektorenaufständen“ 1968/69 in den führenden Verlagshäusern Deutschlands, zum Beispiel Suhrkamp, Fischer, Rowohlt oder Goldmann. Man forderte unter anderem bessere Arbeitsbedingungen, häufigere Fortbildungsmöglichkeiten und mehr Mitbestimmung in inhaltlichen und personellen Entscheidungen des Verlags. 

Der Aufstand erzielte allerdings keinen nachhaltigen Erfolg; eine grundlegende Änderung konnte von den Lektoren nicht erreicht werden. Jedoch gründeten sie 1969 den „Verlag der Autoren“ mit demokratischen Strukturen und einem alternativen Verlagskonzept, den es auch heute noch gibt. Außerdem sagten sich einige Lektoren von ihren Verlagen los und begannen, freiberuflich zu arbeiten – ein Konzept, das bis heute bestehen geblieben ist. 

 

Der Lektor heute

 

Was also sind heute die klassischen Aufgabenbereiche des Lektorats innerhalb der Verlagswelt, die sich im Lauf der Jahrzehnte herauskristallisiert haben? Einerseits haben wir natürlich die Manuskriptannahme und das Korrekturlesen und Lektorieren von Texten, ebenso aber auch beratende Funktionen bei der Programmgestaltung eines Verlags, Beratung beim Schreibprozess des Autors und die Mitverantwortung für die Promotion eines Buches. 

Viele verschiedene Aufgaben – die einander teils sogar widersprechen können. Vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann sich die Ambivalenz des Lektorenberufs, die von Beginn an bestand und den Beruf so spannend, aber auch komplex macht, immer deutlicher abzuzeichnen. 

So ist ein Lektor oder eine Lektorin sowohl für die Argumente des Autors oder der Autorin verantwortlich und vertritt jene gegenüber dem Verlag; gleichzeitig aber muss er oder sie die Interessen des Verlags und dessen moralische und ästhetische Werte im Blick behalten und dem Schriftsteller oder der Schriftstellerin näherbringen. 

Dann findet sich ein Lektor oder eine Lektorin häufig im Zwiespalt zwischen der ästhetischen Position, welche die literarische Qualität eines Buches bemisst, und der ökonomischen Position, die berücksichtigen muss, wie sich das fragliche Buch wohl verkaufen würde. Eine Goldene Mitte und einen Ausgleich zwischen diesen ambivalenten Rollen zu finden, ist die wahre Herausforderung und Kunst des damaligen und noch mehr des heutigen Lektorenberufs.



Die meisten Informationen für den obigen Artikel sind aus folgendem Buch entnommen, das ich zur Weiterbildung empfehlen kann: Q.: Schneider, Ute, Der unsichtbare Zweite. Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag, Göttingen 2005.