Tags: Lektorat, Literatur, Textanalyse
Autor/in: Caroline Breitfelder
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Die eigene Geschichte aus der Hand geben – Ja oder Nein?

 

Warum ist ein Lektorat so wichtig?

 

Die Finger trommeln in die Tasten, die Gedanken sprudeln auf das Papier, Seite für Seite baut sich eine Welt auf, die man ganz allein erschaffen hat. Die Charaktere entfalten sich, erkunden und erschließen diese fiktionale Welt, fühlen sich an wie langjährige Bekannte und so gar nicht wie fiktional. Und dann soll man jemand anderen in diese Welt herein- und an ihr herumtüfteln lassen? – Für manche Schriftsteller und Schriftstellerinnen möglicherweise das Bild, das sie von einem Lektorat haben. Viele sind sich zwar der Tatsache bewusst, dass die meisten Verlage es nicht einmal in Erwägung ziehen, ein Buch zu veröffentlichen, das nicht zuvor seine weniger ansehnlichen Ausfransungen am Schleifstein des Lektorats verloren hat. Manche Autorinnen haben aber dennoch ein mulmiges Gefühl dabei, jemandem mit Schleifstein in ihre Welt hereinzulassen. Ein paar Gedanken hierzu, die gegen das mulmige Gefühl gedacht sind: Wieso sind Lektoren und ihre Arbeit so wichtig und für die Welt aus Papier und Tinte eine Bereicherung?

Die Literaturwelt gönnt nur einen ersten Eindruck

Zunächst ist es, wie schon erwähnt, heutzutage beinahe schon Usus, dass Verlage nicht veröffentlichen, was (ihre) Lektoren und Lektorinnen nicht zuvor absegnen. Das liegt einerseits daran, dass ein Manuskript mit den Leitbildern des Verlages übereinstimmen muss, ansonsten hat keine der beiden Seiten viel Freude und die Arme werden vom vielen Schleifen krampfen. So hängt der gute Ruf des Verlages an seinen Veröffentlichungen, aber ebenso, wenn nicht noch mehr, der Ruf des Autors. Es gibt nur einen ersten Eindruck und das Internet vergisst nicht. Es gibt nur einen ersten Eindruck und Bücher konservieren ihren Inhalt geduldig Jahre lang, für alle Augen zugänglich. Es gibt nur einen ersten Eindruck und dafür viel Konkurrenz. Wenn einer Autorin erstmal der Stempel eines Rechtschreibbanausen oder Bandwurmsatzproduzenten aufgedrückt wurde, sieht’s steinig aus mit der weiteren Schriftstellerkarriere. Mit der Absicherung eines Lektorats ist die Wahrscheinlichkeit eines verpfuschten ersten Eindrucks deutlich geringer.

Warum dir dein Lektor sagen wird: Kill your Darlings!

Eine Lektorin ist zu Besuch in der Welt, die sie betritt. Meist ein freudiger und neugieriger Besucher, der sich gespannt umsieht, aber mit objektivem Blick. Am besten lässt sich das vielleicht in dem Spruch „Kill your Darlings!“ ausführen, der von F. Scott Fitzgerald über Stephen King bis Ernest Hemingway allen möglichen namhaften Schriftstellern zugeschrieben wird. Tatsächlich stammt er ursprünglich wahrscheinlich vom dem britischen Autor und Literaturkritiker Arthur Quiller-Couch, der in seinem Buch On the Art of Writing eine harsche Wahrheit vertritt, die aber eben doch eine Wahrheit ist: Immer, wenn man den Impuls verspüre, eine exzeptionell gute und innovative Stelle zu verfassen, solle man lieber gleich wieder aufhören. Wenn eine Stelle im Stil leicht divergiert, nicht so ganz zu passen scheint, aber der eigenen Meinung nach eben so verdammt gut ist, dass man sich selbstgefällig auf die eigene Schulter klopfen will – löschen. Da spricht das Autorenego, das liebevoll seine geschaffene Welt tätschelt. Aber: Kill your Darlings! Dabei kann und muss ein objektiver Blick Wunder wirken.

Das Lektorat: Der Teufel im literarischen Detail

Rechtschreibung und Grammatik sind mittlerweile unübersichtliche Minenfelder, das muss hier mal zugegeben werden. Der Fehler versteckt sich gerne im Detail und da ist jemand von Vorteil, der das Detail kennt. Und nicht nur bei der korrekten Kommasetzung sind Fachleute vonnöten; eine Übersicht über die Textstruktur und stilistisches Sprachgefühl können Zusammenhänge und Logikfehler erspähen, die ansonsten unentdeckt geblieben wären. Kommt es zu Büchern, die sich zusätzlich mit Expertenbereichen neben der Sprache beschäftigen, ist es natürlich genauso wichtig, Rat und Tat von Expertinnen in Anspruch zu nehmen. In wissenschaftlichen Verlagen ist das Lektorat meist von ausgebildeten Fachleuten besetzt; verlegt ein Verlag beispielsweise vor allem biologische Fachbücher, hat die Mehrheit der Lektoren und Lektorinnen ein Biologie-Studium abgeschlossen. Natürlich sind auch Lektoren keine Allwisser, aber sie haben die Kontakte und das Wissen, wo sie sich Wissen aneignen können, das es braucht, um ein spezielles Werk auf Herz und Nieren zu prüfen.

Lektor als Wegbegleiter und Gehstock zugleich

Ein Buch zu veröffentlichen, das geht nicht über Nacht, dafür geht es auf die Nerven. Es ist aufregend, es ist emotional fordernd, es ist viel Arbeit. Vier Augen sehen hier mehr als zwei und zwei Paar starke Nerven halten mehr aus als eines. Für die allermeisten Lektorinnen ist es ebenfalls ein Herzensanliegen, dass die Projekte, an denen sie arbeiten, gut werden. Herz und Hirn werden dafür sowohl den Büchern als auch – genauso wichtig! – ihren Verfassern gewidmet. Denn in der teilweise unübersichtlichen Verlagswelt mit ihren rechtlichen Regelungen, Autorenverträgen, Marketingstrategien, Layoutideen und Kritiker-Haifischbecken kann man schon leicht mal die Orientierung verlieren. Da ist es für die eigenen Nerven nur von Vorteil, jemanden an der Seite zu haben, der sich damit auskennt und den Weg schon ein paar Mal gegangen ist. In den meisten Fällen kann ein sehr fruchtbarer Austausch zwischen Autorin und Lektorin entstehen, der beiden Personen, ihren Nerven und dem Endprodukt nur gut tut.

Literarische Rohdiamanten in ausgewählte Hände geben

Also: Den Schleifstein nicht fürchten, er wird weder Ecken noch Kanten entfernen, die ihren berechtigten Platz in der Welt des Autors haben, sondern vielmehr ihre Konturen herausstreichen helfen. Es geht nicht darum, den Kern und Charakter eines Buches zu verändern. Wenn ein Manuskript akzeptiert wird, bedeutet es, dass etwas darin gesehen wurde, das gefällt – und das soll bleiben. Es soll nur in enger Zusammenarbeit und Absprache vervollkommnet werden, wie es der geschaffenen Welt gebührt.