Tags: Manuskript, Textanalyse, Buchveröffentlichung, Veröffentlichung
Autor/in: Caroline Breitfelder
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Der Weg vom Manuskript zum Druck
Was passiert eigentlich hinter verschlossenen Verlagstüren? So manche/r hat vielleicht schon mal darüber nachgedacht, selbst eine Geschichte zu schreiben und davon geträumt, sie mit einem Ledereinband geschmückt im Buchladen um die Ecke stehen zu sehen. Aber was passiert auf dem Weg dazwischen? Was passiert, wenn man den Kugelschreiber aus den verkrampften Fingern legt und sich endlich dazu entschließt, das Manuskript aus den Händen zu geben und klopfenden Herzens einzusenden? Was für ein Abenteuer erlebt unsere Erzählung, wenn wir sie auf die Reise schicken?
Das Kleine Manuskript
Das Kleine Manuskript, kurz genannt Klein M, soll uns hier zu Veranschaulichung dienen. Das Kleine M ist gerade fertiggestellt worden, ein frischgebackenes Manuskript, qualitativ hochwertig und recht zufrieden mit sich. Da auch Klein Ms Schöpfer überzeugt ist von dem eigenen schriftstellerischen Genie, verpackt er Klein M ordentlich in einem A4-Umschlag (er könnte es auch auf digitalem Wege tun, per Mail und per Klick-Klick, aber Klein Ms Schöpfer misst seinem Werk mit eifersüchtigem Stolz eine größere Bedeutung bei und außerdem ist er altmodisch), schreibt mit einer Schrift, die auffällig ordentlicher anmutet als sonst, die Adresse eines großen und renommierten Verlages auf die Rückseite, und wirft Klein M in den nächsten Briefkasten. Plumps. Zufrieden pfeifend macht sich der Autor, der uns hier nicht weiter zu interessieren braucht, auf den Rückweg und hier beginnt Klein Ms Werdegang.
Die erste Prüfung
Klein M brummt noch ein wenig der Schädel von dem Fall durch den Briefkastenschlitz. Leicht benommen erlebt es die Reise in der Tasche des Briefträgers mit (beengt geht es hier zu!) und ist doch erleichtert, als es schließlich auf dem Schreibtisch seines Bestimmungsortes landet. Der Umschlag wird geöffnet – endlich Frischluft! – und fremde Finger blättern durch die Seiten.
Klein M wird zunächst nur überflogen. Auf den ersten Eindruck kommt es hier an, so richtig kann Klein M mit all seinen genialen Metaphern, witzigen Wortspielen und eleganten Phrasen noch gar nicht protzen; aber was gesehen wird, das gefällt, die Lektorin brummt „Daraus kann was werden!“ und legt Klein M zur späteren Besprechung mit den Lektoratskollegen und dem Verleger beiseite. Puuh, die erste Prüfung ist geschafft. Klein M ist erleichtert.
Da es wirklich ein nettes kleines Manuskript ist, mit relativ ordentlicher Rechtschreibung, ansprechender Satzlänge und unterhaltsamen Inhalt, stimmen auch die Kollegen und Kolleginnen der Lektorin zu, es dem Verleger vorzustellen. Hier kommt Klein M nochmal kurz ins Schwitzen, aber der Verleger vertraut dem Urteil seiner Angestellten und ist einverstanden damit, Klein M die Karriere zum Buch zu ermöglichen.
Gestaltung des Manuskripts
Nun bekommt Klein M, noch ganz schwummrig von der wichtigen Entscheidung, die es vor dem Papierkorb bewahrt hat, erstmal ein äußeres Make-Over. Ausstattung und Format werden festgelegt, der Umfang wird kalkuliert, Papier und Layout müssen ausgesucht, die richtige Schriftart eingestellt werden, und so weiter und so fort. Als der Prozess fertig ist, kann es sich stolzschwellend ein ordentlich gestaltetes Manuskript nennen und die letzten Vorbereitungen für Satz und Lektorat werden getroffen. Es ist nicht mehr nur ein nettes, es ist jetzt auch ein hübsches kleines Manuskript.
Das Kleine Manuskript im Lektorat
Klein M ist nun wie gesagt ansprechend für Auge und Ordnungssinn, aber wie wir alle und die Bücher unter uns noch eher wissen, kommt es vor allem auf die inneren Werte an. Klein M wandert zurück zu seiner Bekannten, der Lektorin, und wird jetzt auf Herz und Nieren geprüft. Das ist eine ganz schön anstrengende Sache und Klein M lernt eine Portion Demut, denn wähnte es sich zuvor nahezu perfekt, wird ihm jetzt klar, was es alles zu beachten gilt, wenn man Literatur heißen will: Die Figurenentwicklung sollte konstant sein, die Charakterzeichnung prägnant; der rote Faden darf nicht verloren gehen, und an manchen Stellen ist wissenschaftliche Recherche notwendig, um keine Fake News zu verbreiten.
Klein M verliert auch nochmal einiges an überflüssigem Inhalt. Zuerst tun die Kürzungen ein bisschen dem Stolz weh, aber danach fühlt sich Klein M sehr viel leichter, schärfer, pfiffiger. Mit all diesen Justierungen und dutzenden Anmerkungen am Rand sieht Klein M seinen Schöpfer nach dem Groblektorat wieder und verfolgt mit Interesse viele, viele kommende Gespräche, Diskussionen, Fragen und Vorschläge, die zwischen Autor und Lektorin hin und her gehen. Mit jeder Überarbeitung fühlt Klein M, dass es ein bisschen reifer wird.
Dem Groblektorat folgt das Feinlektorat. Hier wird an Klein Ms verbliebenen Ecken und Kanten sanft geschliffen, ohne sie ganz auszutilgen, denn wer will schon ganz glatte Literatur? Kommata werden eingefügt, Wiederholungen markiert, verdrehte Sätze gerade gerückt. Der Austausch zwischen Lektorin und Autor ist dabei sehr intensiv: Klein M macht den Weg von einem zum anderen an manchen Tagen sogar mehrmals, ganz erschöpft ist es schon davon – aber es ist der Mühe wert.
Weiter geht’s ins Korrektorat
Kaum ist das Lektorat abgeschlossen, gerät Klein M unter ein neues Paar prüfender Augen. Manche Verlage lassen ihre Lektor*innen auch das Korrektorat erledigen, aber der Verlag, in dem sich Klein M umtreibt, ist groß und hat Korrektoren in eigenem Auftrag. So etwas Penibles hat Klein M selten gesehen, jedes Komma zu viel, jeder Rechtschreib- und Grammatikfehler wird mit bewundernswerter Genauigkeit ausfindig gemacht und ausgemerzt. So gesund hat Klein M sich noch nie gefühlt, denn falsche Grammatik, müsst ihr wissen, ist für Bücher wie Zahnweh. Noch einmal macht Klein M die Reise zu seinem Autoren. Der ist ganz gerührt und begeistert davon, wie sehr Klein M sich gemacht hat; er ist stolz und Klein M freut sich. Auch die Lektorin ist es nach einem letzten Blick zufrieden und ab geht’s in den Buchsatz.
Das Kleine Manuskript im Buchsatz
Im Buchsatz wird sich darum gekümmert, dass Klein M auch dem Auge der künftigen Leser wirklich ansprechend erscheint. Zum Beispiel sehen einzelne oder Teilsätze am Anfang oder Ende einer Seite nicht hübsch aus. Bei Kapitel Drei zum Beispiel, da ist der letzte Satz noch auf die nächste Seite geflutscht, das macht nichts her; das Kapitel wird leicht umgestellt und gekürzt, et voilá.
Parallel zum Buchsatz, manchmal auch davor, wird das Coverdesign diskutiert. Klein M ist aufgeregt, in welchem Kleid es nun der Welt präsentiert werden soll. Manche Verlage geben ihre Aufträge an Werbeagenturen weiter; der Verlag, in dem sich Klein M befindet, hat jedoch eigene Leute im Haus, die sich um die Buchgestaltung kümmern. Es wird daran herumgetüftelt, bis man ein Design gefunden hat, das zu Klein M passt. Das Kleine Manuskript kann es dabei kaum erwarten, sich herauszuputzen.
Das Kleine Manuskript im Druck & beim Buchbinden
Endlich! Der Druck! Bald ist es so weit, bald kann das Kleine Manuskript sich Buch nennen. Klein M soll ein paar feine Illustrationen erhalten, auf die es sich ganz schön was einbildet; diese werden gescannt, retuschiert, bei Bedarf bearbeitet und beschnitten. Dann wird gedruckt. Was für ein Gefühl! Klein M hätte vor Freude gerne Tinte geweint, aber es will sich die Seiten nicht verschmieren. Den Abschluss bildet das Buchbinden – hier wird Klein M gefalzt, gebunden, beschnitten und mit einem schützenden Einband versehen. Das Kleine Manuskript fühlt sich wie ein kleiner Prinz.
Klein M wird im Marketing vorgestellt
Was Klein M gar nicht mehr so richtig mitbekommt, so eingenommen ist es von seiner Druckerfahrung, ist, dass seinetwegen auch außerhalb des Verlags seit geraumer Zeit einiges an Aufwand betrieben wird. Der Verleger ist sich sicher, dass Klein M ihm einen saftigen Gewinn einbringen wird, und scheut sich deshalb nicht, es ordentlich zu bewerben. Klein M kann sich glücklich schätzen; nicht jedem Manuskript wird diese Ehre zuteil, da Verlage je nach Kapazität entscheiden müssen, für welche Bücher sie mehr oder weniger Werbung machen wollen.
Im Falle unseres Kleinen Manuskripts jedoch bedeutet ein umfangreiches Marketing, dass es Leseproben zu seinen Ehren gibt, Bilder in der Verlagsvorschau, Interviews mit Klein Ms Schöpfer, der mit vor Stolz geschwellter Brust über Klein Ms Geburt erzählt; des Weiteren sollen Lesungen und sonstige Presseaktionen folgen. Klein M ist eine kleine Berühmtheit – und nach dem Buchbinden tatsächlich fertig eingekleidet, ist es auch schön anzuschauen mit seinem farbigen Einband, den zarten Illustrationen und den duftenden weißen Buchseiten.
Aus dem Kleinen Manuskript ist ein Kleines Buch geworden. Klein B spiegelt nun sich im Schaufenster der Bücherläden, ziert die Regale der Bibliotheken und schmiegt sich an das Holz verschiedener Bücherregale in vielen, vielen Wohnzimmern. Oft denkt es jetzt, da es am Ziel und ein richtiges Buch geworden ist, verträumt und nostalgisch an den weiten Weg zurück, den es zurücklegen musste, an den Weg vom Kleinen Manuskript bis zum Kleinen Buch.