Tags: Textanalyse, Emotionsanalyse, Emotionen
Autor/in: Anne Sillmann
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Wir kennen das doch alle: Wir sehen ein Bild, hören einen bestimmten Song, riechen einen besonderen Geruch, lesen berührende Worte – und schwupps haben wir Herzrasen, fühlen uns geborgen, verdrücken ein Tränchen oder werden sogar wütend. Richtig, die Rede ist von Emotionen.

Was sind Emotionen

Im Unterschied zu Gefühlen schließen Emotionen auch die psycho-physischen Reaktionen unseres Körpers mit ein. Und gerade die machen die Emotion so unausweichlich schön und schrecklich zugleich, denn wir können uns ihrer kaum erwehren, erleben alles viel intensiver und sind, wie man so schön sagt, mit Leib und Seele dabei. Das Leben wäre ohne Emotionen wohl auch um einiges langweiliger, oder? Sie hauchen also quasi dem Leben erst das Leben ein. Mit ihnen werden wir vom unbeteiligten Zuschauer zum Teilnehmer – mittendrin statt nur dabei.

Und das nicht nur im realen Leben. Vor allem Filme, Bücher und Games haben es uns auf emotionaler Ebene angetan. Mal ehrlich, wer hat nicht schon bei einem Buch oder Film geweint und gelacht oder war vollkommen gefesselt im Rausch eines Computerspiels? Vermutlich niemand, denn genau darauf zielt die Unterhaltungsindustrie ab. Je intensiver die Emotion, desto stärker sind wir involviert und desto eher erinnern wir uns später an die Erfahrung. Vielleicht werden wir auch ein klein wenig süchtig nach den Emotionen (vor allem wenn im realen Leben gerade nicht allzu viel passiert) und wollen deshalb immer wieder in diese Welt abtauchen.

Aber von vorne…

Woher kommen diese Emotionen

Es gibt verschiedene Wege, um Emotionen in einem Menschen auszulösen. Genaugenommen gibt es neun Arten, dies zu tun. Keine Angst, alle neun werde ich nicht aufzählen. Ich konzentriere mich auf diejenigen, die auch in der Buchbranche von Relevanz sind. Emotionen können nämlich durch Fantasie, Sprache, Mitgefühl, Verletzung sozialer Norman oder das Aufsetzen einer Mimik ausgelöst werden.

Die Fantasie ist eine besondere, menschliche Eigenschaft, die es uns ermöglicht, Dinge zu sehen und erleben, die real nicht da sind. Wir stellen uns etwas vor und vergleichen es mit Situationen, die wir kennen und an die wir uns erinnern. Die Emotionen, die mit dieser Situation assoziiert sind, können wir dann auch durch die Fantasie auslösen – fantastisch, oder?

Nun brauchen wir also nur etwas, das der Fantasie etwas auf die Sprünge hilft. Sprache zum Beispiel. Ja, Sprache wäre durchaus hilfreich, um den nötigen Schubs und der Fantasie den Spinnfaden zu geben, um eine Vorstellung zu spinnen. Wie im Buch? Genau! Wie im Buch.

Die folgenden Möglichkeiten, eine Emotion auszulösen sind nämlich Mitgefühl, die Verletzung sozialer Normen oder das Aufsetzen einer Mimik (ja, wenn wir eine bestimmte Emotion mimen, zieht unser Körper ganz schnell nach und produziert eben diese Emotion). Alle drei Dinge lassen sich hervorragend durch Sprache vermitteln.

Hier kommt nämlich die ultimative Verknüpfung dieser Auswahl an Auslösern ins Spiel.

Emotionen können durch Worte ausgelöst werden

Bilder im Kopf

Durch Sprache, beispielsweise in einem Buch, werden Situationen, Menschen und Mimiken sowie Körperhaltungen beschrieben. Alles Elemente, die wir meist eindeutig einer Emotion zuordnen können. Dann kommt unsere Fantasie ins Spiel, die diese Worte flugs in Bilder umwandelt, sie in unser Gehirn zeichnet, und so mal eben einen kleinen Film dessen dreht, was wir in dem Moment lesen. Und wenn wir nun lesen und sehen, wie jemand eine Straftat begeht, dann kommen wir kaum umhin, etwas wütend zu werden. Vor allem, wenn wir dabei sehen müssen, wie ein Mensch getötet wird. Und niemand kann ernsthaft behaupten, er hätte kein Mitgefühl mit dem armen kleinen Severus „Schniefelus“ Snape in James Potters Erinnerungen gehabt.

Unglaublich effektiv ist auch die Beschreibung der Mimik. Es reicht nun einmal nicht, zu sagen „er lächelte“. Nein, „er lächelte und dabei zogen sich die feinen Lachfalten um seine Augen zusammen und zwei Grübchen verpassten ihm einen schelmischen Ausdruck“ – und schon haben wir das Bild des lächelnden Menschen direkt in unserem Kopf und müssen doch ein klein wenig mitlächeln, worauf unser Körper sich prompt denkt: „Hey, das Gesicht sagt mir gerade, wir sind glücklich. Dann mach ich das wohl mal!“.

Schuld daran sind die sogenannten Spiegelneuronen, die die Mimik des Gegenübers, und sei es nur ein imaginierter Gegenüber, erst der Geschichte und dann der Fantasie entsprungen, selbst aufnehmen und reproduzieren. Man denke an das Phänomen des kollektiven Gähnens. Nein, da werden nicht plötzlich alle müde, das ist bloß unser liebes Gehirn, das kurz mal spiegelneurotisch dem Gruppenzwang erlegen ist.

Aber zurück zum Thema. Das Gehirn produziert also Bilder, nachdem es die Worte aufgenommen hat. Und das ist auch gut so, denn Bilder haben ein wesentlich größeres Aktivierungspotenzial als bloße Worte. Nebenbei werden sie auch viel leichter erinnert als Texte. Oder erinnerst du dich an den genauen Wortlaut der Bücher, die du gelesen hast? Bei mir zumindest sind da bloß lauter Filmschnipsel im Kopf – und Gefühle, klar. Denn die sind ja mit den Bildern verknüpft.

Worte, die Bilder zeichnen

Wie die Bilder im Kopf über Erinnerung und Fantasie entstehen, habe ich ja schon kurz erwähnt. Aber da wir uns immer noch in der Buchbranche befinden, sollte wir uns noch einmal damit beschäftigen, wie Worte Bilder zeichnen. Oder genauer gesagt, welche Worte welche Bilder zeichnen.

Dass es hilfreich ist, etwas mehr ins Detail zu gehen, haben wir ja schon gesehen. Zu sehr sollte man den Leser aber nicht mit Informationen füttern. Wie sagt man so schön: die Beschreibung beginnt beim Autor und endet im Kopf des Lesers. Denn ein bisschen muss sich das Hirn anstrengen, um auch involviert zu sein.

Es geht also weniger darum, möglichst viele Worte zu finden, sondern die richtigen. Nicht zu wenig, nicht zu viele und vor allem keine irreführenden. So mag zum Beispiel ein Friedhof für manche ein gemütlicher Ort sein, für die meisten jedoch ist er ein Ort der Trauer. Die gewählten Worte sollten also zur Emotion passen, das Setting muss stimmen und idealerweise sollten kleine Details auf verschiedenen Ebenen hinzugefügt werden. Ein vorbeiziehender Geruch hier, das Zwitschern eines Vogels da, und am besten knirscht auch der Boden unter den Füßen. Erinnerungen sind komplexe Konstrukte und als solche ebenso mächtig.

Und wenn nun die Leserin die Geräusche um sich – in der imaginierten Szene versteht sich – hört und mit dem Rauschen der Bäume ergänzt, den Geruch von Regen in der Nase hat, und den Waldboden unter ihren Füßen spürt – schon wird der beschriebene Wald zu dem, in dem sie in ihrer Kindheit immer gespielt hat. Dort war sie glücklich, aber dort hat sie auch einmal stundenlang nach ihrem Kindergartenfreund gesucht, der sich versteckt hatte. So lange, dass sie schon weinen musste. Welche der beiden Wald-Emotionen für dieses Buch zu gebrauchen sind, entscheidet das Gehirn dann schon selbst. Und plötzlich fühlt sie sich in dem Buch heimisch und kehrt gerne zurück in den Wald ihrer Kindertage – und wenn es nur die Erinnerung daran ist.

Und darin liegt die Macht der Worte, die dich zurück zu glücklichen und traurigen, wütenden und ängstlichen Tagen bringen kann – jedes Mal aufs neue und jedes Mal in einer anderen Geschichte.

Emotionsanalyse

Und was hat die Künstliche Intelligenz damit zu tun?

Künstlich Intelligenz und Emotionen sind ja nun wirklich zwei Paar Schuhe. Das eine ausgebeult und so alt wie die Welt, das andere nagelneu und blitzblank geputzt mit glänzenden Schnallen und viel Schnick-Schnack. Dank der Worte kann aber auch eine künstliche Intelligenz Emotionen erkennen. Auf die gleiche Weise, wie die Leser es tun, nur ohne die Erinnerung und die Fantasie. Also schlicht und einfach durch das Zählen von Wörtern. Mit dem Wissen, dass ein Friedhof Trauer bedeutet, und dass die Worte traurig, weinen und trösten ebenfalls zu Traurigkeit gehören. So kann die KI lernen, Emotionen zu erkennen.

Und Verlage können dieses Wissen nutzen, um dem Buch den richtigen Schliff zu geben, Lesemotive und Leser:innenbedürfnisse erkennen und diese Emotionen herauszuarbeiten. Um zu entscheiden, ob das Buch ins Verlagsprogramm passt und um zu entscheiden, wie das Cover gestaltet werden muss. Denn „Don’t judge a book by its cover“ ist schon lange out of date und manchmal wollen wir doch auch genau ein Buch kaufen, weil uns das Cover eine Emotion verspricht, die wir gerade so dringend fühlen möchten.