Stichworte: Lektor, Lektorin, Berufswahl
Autor/in: Caroline Breitfelder
Für diesen Text benötigst du etwa 4 Minuten

Was macht eigentlich ein/e Lektor/in?

 

Pling! Ah, schon wieder eine Mail. Die Inbox quillt über, das Telefon klingelt. Der bunte Zeitplan ist in Bonsai-Schrift vollgeschrieben, auf dem Tisch neben dem aufgeklappten Laptop ragen Papierstapel in die Höhe. Ein roter Filzstift übernimmt Verantwortung für unzählige Kommentare an den Papierrändern. Auf dem Whiteboard haben kreative Brainstormings Wirbel an Farben, Linien und Ausrufezeichen hinterlassen, für Außenseiter völlig unverständlich. Ein Plan mit Deadlines ragt dräuend daneben auf, mit einem Magneten an das Bord geheftet. Schon wieder das Pling! des Mailprogramms.

Ist das der Schreibtisch eines CEO? Nein? Vielleicht der Ort, an dem ein Finanzmanager seiner Tätigkeit nachgeht? Immer noch nicht ... Der Arbeitsplatz eines vielbeschäftigten Professors, der die Weiten des Wissens erforscht? Nein? - Na, dann zurück raus mit der Sprache. Was? Es ist der Schreibtisch eines Lektors? Wie? Müsste da denn nicht nur ein hübsch aufgeschlagenes Buch liegen ...?

Den Lektorenberuf stellt man sich vielleicht ein bisschen vor wie Streber Plus. Normaler Leserattenalltag, man sitzt oder liegt auf Sessel, Sofa, Fensterbank, Tisch, Teppich, wo auch immer, immer ein Buch vor der Nase, die Nase zwischen den Seiten, die Seiten zwischen den Fingern, die Finger eifrig blätternd, die Blätter verheißungsvoll raschelnd ...

Ja, so habe ich mir das gedacht, aber die Realität hat natürlich mal wieder schonungslos den Schleier der Illusion fortgerissen und trumpft auf mit: Organisation! Struktur! Korrektorat! Kommunikation! Kommata! Mails, Mails, Mails. Orga, Orga, Orga. Aber, wenn ich ganz ehrlich bin: Es ist auch sehr viel abwechslungsreicher als gedacht. Um mit dem Vorurteil, das auch das meine war ("Lektoren lesen halt. Punkt.") aufzuräumen, folgt hier ein kleiner Einblick in das Berufsleben eines Lektors bzw. einer Lektorin.

Der Alltag des Lektors: Bücher über Bücher?

Ja, ein Lektor liest auch

 

Natürlich ist ein Körnchen Wahrheit in der Vorstellung, dass Lektor*innen viel lesen dürfen. Manuskripte wandern durch Lektorenhände, werden kritisch begutachtet und wenn sie gefallen, vielleicht für das Lektorat auserwählt. Dieser Entscheidungsprozess ist der erste wichtige Aufgabenbereich, der dem Lektor / der Lektorin zufällt: Was ist gut, was ist Literatur? Was möchte gelesen werden? Was passt zu unserem Verlag? Auch Kalkulationen, auch wirtschaftliche Entscheidungen, gehören mit dazu: Was ist realisierbar, was wird das den Verlag kosten, und so weiter. Besteht das Manuskript diese Prüfung auf Herz und Nieren, geht es ans Eingemachte, das Lektorat.

Im Lektorat wird der Text natürlich erneut und gründlichst gelesen. Das hat aber so viel Ähnlichkeit mit Schmökern wie ein Kopftätscheln mit dem Eingriff eines Hirnchirurgen. Die OP-Geräte sind in diesem Fall die Augen, Rechtschreib- und Grammatikkenntnisse des Lektors oder der Lektorin. Satzzeichen hier, Rechtschreibfehler da, warum kennt eigentlich niemand mehr den Genitiv, wieso ist an diesem "dass" ein "s" zu viel, all diese Dinge. Das ist aber nicht alles. Auch der berühmte rote Faden, der sich (hoffentlich) durch das Manuskript zieht, muss im Auge behalten werden, die Charakterkonstanz, der Aufbau der gesamten Geschichte. Steht die Welt, die hier zwischen den Seiten gebaut wird, auf festem Fundament oder braucht es noch Stein und Mörtel? All diese Fragen müssen beachtet werden - aber nein, das ist noch lange nicht alles!

Immer ein Buch vor der Nase des Lektors?

Reinfuchsen!

 

Bloß im Besitz der OP-Geräte zu sein, wird einem Hirnchirurgen wenig helfen, so wie auch solide Kenntnisse in Rechtschreibung und Grammatik noch keinen Leser zum Lektor machen. Jede Geschichte ist anders und erfordert eine andere Betreuung. Manche Bücher verlangen solide Grundkenntnisse beispielsweise in der Geschichte, Politik, Psychologie oder meinetwegen auch in Vogelkunde; oder geographische Kenntnisse des inaktiven Vulkans Chimborazo in Ecuador sind unabdingbar - man frage nur mal die Person, die Kehlmanns Vermessung der Welt lektoriert hat. In diese Thematiken müssen sich nämlich nicht nur der Autor oder die Autorin einarbeiten, auch ihre Lektoren sollten sich genug auskennen, um Ungereimtheiten ausmachen zu können. Jede Geschichte und jedes Buch erfordern eine individuelle und gründliche Vorbereitung, bevor die OP beginnen kann.

Kommunikation!

 

Wenn man nun als Lektor oder als Lektorin mit seinen Werkzeugen im Text herumstochert, hier ausbessert, da optimiert und eifrig werkelt, darf eine weitere Hauptperson nicht vergessen werden: Der Autor oder die Autorin. Wird an deren Text korrigiert und lektoriert, erfordert es immer eine enge, vertrauensvolle und respektvolle Zusammenarbeit. Herz und Charakter der Erzählung sollen ja nicht verändert werden. Die beste Version der Geschichte soll entstehen, ja, aber der Verfasser sollte sie immer noch als die seine wiedererkennen können. Das bedeutet eine Wagenladung an Kommunikation und Absprache zwischen Schriftstellerschreibtisch und Lektorenbüro. Meist ist das eine bereichernde und spannende Beziehung, die aber auch ständiger Pflege von beiden Seiten bedarf, damit beide am Ende ein wirklich gutes Buch in den Druck geben können.

Organisation!

 

Jedes Werk ist eine eigene kleine Welt, ein eigenes Projekt und somit werden die meisten Lektor*innen automatisch auch zu Projektmanager*innen, ob sie nun wollen oder nicht. Deadlines müssen im Blick behalten, Dienstleistungen koordiniert, Verträge überprüft und das Marketing berücksichtigt werden; das alles immer in Absprache mit dem Rest des Verlagsteams, mit Autor*in und Druck. - Wollen wir Veranstaltungen oder Lesungen abhalten? Welche Stimmung herrscht im Buch und wie muss es dementsprechend vermarktet werden? Wie hat das Layout ausgesehen? Inwieweit muss alles auf die Marke des Verlags abgestimmt sein? Wer wirkt bei all diesen Dingen mit, wie setze ich mich mit ihnen in Verbindung und gewinne ihre Unterstützung? Kreativität, aber auch eine deftige Portion Koordinationstalent (und Stressresistenz!) sind hier eindeutig von Vorteil.

To-Do-Listen bringen Struktur

Lektoren lesen. Aber nicht nur.

 

Auch: Ja, Lektoren und Lektorinnen lesen und sie lesen auch viel; wenn du nicht gerne in Geschichten eintauchst, dann ist dieser Beruf nichts für dich. Mit gerne lesen ist es aber eben noch nicht getan: Sprachgefühl spielt eine Rolle; gerne mit Menschen arbeiten und umgehen ist das Salz in der Suppe; ständige Kommunikation und Absprachen sind hier Arbeitsalltag. Noch eine Prise Organisationstalent und Projektmanagement dazu, dann wird langsam etwas draus. Klingt nach zu wenig "gemütlich Schmökern"? Aber gerade das alles macht den Lektorenberuf ja auch so vielseitig und spannend - es wäre ja doch etwas langweilig, immer nur mit der Nase im Buch zwischen Sessel, Couch und Teppich hin und her zu wechseln. Oder?

Lektoren: So wird ein Buch geboren